Die Angst der Flüchtlinge vor dem Staatssekretär

Bei der Frage nach der Heimat, nach Kontakten zur Familie verstummt der junge Mann aus Eritrea. Gerhard Eck stutzt kurz, korrigiert den Kurs, will wissen, ob die Unterkunft gefällt. Ja, hier in Bergrheinfeld sei alles gut, erfährt der Staatssekretär.

Der Besuch im Wohnheim für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge an der Schweinfurter Straße in Bergrheinfeld ist kein spontaner, er ist angemeldet. Eck hat seinen Mitarbeiter Gerhard Schmitt und Bergrheinfelds zweiten Bürgermeister Dieter Wagner mitgebracht. Später werden die Mitarbeiter um Erziehungsleiter Oliver Bandorf und Caritas-Geschäftsführerin Jutta Münch als weiteren Gast den KAB-Diözesansekretär Ulrich Werner begrüßen.

Er wolle keine Schlagzeile, nur einmal reinschauen und sich ein Bild von einer der Unterkünfte machen, über die viele sprechen würden, wobei kräftig über- und auch untertrieben werde, sagt Eck noch vor der Haustür zu den Mitarbeitern dieser Redaktion.

Zuhören und nachfragen
Eck hält sich an seine Vorgabe. Der Staatssekretär hört zu und fragt nach. Das anschließende Gespräch findet im Kreis der oben Genannten statt. Die, um die es geht, sind nicht mit in das Büro gekommen und froh, dass dieser sicherlich wichtige Mann nur freundlich gefragt hat.

Eigentlich hat die Außenstelle des Jugendhilfezentrums Maria Schutz der Caritas 13 Bewohner, die aus Eritrea, Afghanistan oder Ägypten geflüchtet sind. Nur die Hälfte ist an diesem Sonntagmittag da. Die anderen hätten andere Verpflichtungen, seien etwa auf Besuch bei einer Lehrerin, heißt es. Doch diese anderen Verpflichtungen sind vor allem eines: Angst vor der Staatsgewalt, – wie zu einem späteren Zeitpunkt die Mitarbeiter der heilpädagogischen Einrichtung (sechs Vollzeitstellen im Schichtbetrieb) aufklären.

Kochen, putzen, spülen
Hossein ist 16 Jahre alt, zurückhaltend, seit elf Monaten in der Gruppe, hat den Imbiss für die Gäste zubereitet und führt den Besuch durch das Haus, zeigt Tischtennisplatte und Fußball-Kicker im Keller, den Gemeinschaftsraum, die Doppel- und die Einzelzimmer. „Du sprichst besser Deutsch als mancher Deutscher“, sagt Eck zu Hossein. „Alle lernen Deutsch, der eine schneller, der andere langsamer, ein jeder beharrlich“, sagt Bandorf.

Der Staatssekretär schaut in die zwei Küchen, wo die Jüngeren unter Anleitung, die bald 18-Jährigen, die mit der Volljährigkeit die Gruppe verlassen werden, selbstständig die von ihnen eingekauften Waren verarbeiten. Spülen, Putzen, Hausarbeit – gehört ebenso zum Alltag der Bewohner, die allesamt die Schule besuchen.

Im Aufenthaltsraum entdeckt Eck eine Information mit einem Bild des Staatssekretärs Gerhard Eck. Bandorf klärt auf. „Warum kommt der Mann?, sei eine immer wieder gestellte Frage gewesen. Man habe aufgeklärt. Aber Ängste seien geblieben. Eck spricht von verständlicher Furcht nach all dem in der Heimat und auf der Flucht Erlebten.

Selbstständig in Deutschland
In der Aussprache stellt Bandorf den Einsatz seiner Mitarbeiter als Coaching mit dem Ziel der Selbstständigkeit der jungen Männer in Deutschland vor. Helfen würden viele, darunter die Nachbarn und die Sportvereine, bei denen die Jugendlichen aktiv sind.

Viel Lob gibt es für die Schulen, für engagierte Lehrer und Sozialarbeiter an der örtlichen Mittelschule und jene am Beruflichen Schulzentrum Alfons-Goppel. Jutta Münch stuft die Lage des Wohnhauses mit der Bushaltestelle vor der Tür als ideal für die Integration ein – und Eck die Bereitschaft der Jugendlichen, „raus zu gehen, Kontakte aufzunehmen“ als „ganz wichtig“.

In der kleinen Runde werden die Kontakte der Jugendlichen zum Heimatland nachgefragt. Das Handy ist das zumeist einzige Kommunikationsmittel – und im Fall Eritrea auch nur ein gelegentlich funktionierendes.

Dass, wie Eck sagt, in Bayern die Unterbringung der unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge besser als anderswo geregelt sei, wird in der Aussprache nicht bezweifelt. Doch mit der Volljährigkeit würden die jungen Männer allzu oft allein gelassen. Beispiele von Auszubildenden, die nachts in der Gemeinschaftsunterkunft wegen der dortigen Unruhe kaum schlafen könnten, werden genannt. Der Staatssekretär sagt, dass dies nicht sei müsse, dass der Freistaat für eine nötige Betreuung auch nach dem 18. Geburtstag aufkomme.

Ende der Zuständigkeit
Dem kann Jutta Münch nicht zustimmen. Sobald das Jugendamt nicht mehr zuständig sei, fühle sich niemand mehr zuständig, hat die Caritas-Geschäftsführerin in der Praxis erfahren. Eck hat es notiert, will mit den Bezirken reden, denn das Geld sei da: „es geht um viele Millionen Euro“.

Handlungsbedarf sieht Münch auch bei der Integrationsberatung („zu wenige Stellen“) und bei der Bereitstellung von Wohnungen. Eck nickt dazu und schränkt ein, dass sich der Staat bei den Finanzen nach der Decke strecken müsse, dass alles seine Zeit brauche.

Der Staatssekretär weiß um die Notwendigkeit der psychologischen Betreuung für junge Flüchtlinge und sieht Einrichtungen wie jene an der Schweinfurter Straße in Bergrheinfeld auch unter diesem Aspekt als hoch effektiv an.

Bei der Verabschiedung wird der Erfolg des Besuchs formuliert: Man schätzt sich – und jetzt sogar ein bisschen mehr.

Veröffentlicht in der Mainpost am 21.11.16